Man liebt sich, oder hasst sich. Diesen Eindruck bekommen viele Besucher im Westjordanland und Gazastreifen. Wir haben dazu mit Studenten in Ramallah gesprochen. Und gedämpfte Hoffnung auf Frieden gefunden…

Sumaya Farhat-Naser bietet an der Birzeit Universität bei Ramallah Anti-Aggressionsseminare für ihre Studenten. Auch wenn es zunächst befremdlich klingt: Frieden gelingt. Die Wut im Bauch, Sumaya Farhat-Naser will sie heute in diesem Seminarraum mit Hoffnung bekämpfen.

Der Gedanke an „die Bösen“ und an deren Fehler soll verdrängt werden. Dass es auch jeder bei sich selbst zulässt, „das ist harte Arbeit“, gibt die Dozentin zum Abschluss zu. Es ist die Peitsche. Das Zuckerbrot muss dann wohl die Vision vom Miteinander sein. Im Seminarraum fallen auch jetzt keine Widerworte.

„Wut-Weg-Seminare“

Und das ist ein gutes Zeichen, die Wut-Weg-Seminare ausgerechnet für angehende Akademiker zu organisieren. Westbank, Pulverfässer, Friedens-Wünsche Die Dozentin hat ihre Gründe: „Die Mehrheit der palästinensischen Jugend, egal ob an der Uni oder auf dem Fußballplatz, hat die Hoffnung auf Frieden verloren – das muss sich ändern.“

Farhat-Naser wurde selbst im Westjordanland geboren, in Birzeit, dem Städten zu Fuße des Universitätscampus. Die Christin besuchte ein deutsches Internat nahe Betlehem und promovierte in Biologie an der Universität Hamburg. Heute zählt Farhat-Naser zu den einflussreichsten Akademikern des Landes; mit ihren Texten und Äußerungen über den Nahost-Konflikt will sie ihren Beitrag zum Frieden leisten.

„Wie sollen wir die andere Seite verstehen lernen?“ Und nun also die Anti-Aggressionsseminare. Eine Option, laut Farhat-Naser, wieder das Gleichgewicht im Nahost-Konflikt zu finden, zu verstehen, wer auf israelischer und palästinensischer Seite warum zur Gewalt neigt.

Grenzkontrollen, nervig wie notwendig

Gerade Männer hätten Schwierigkeiten, ihre Wut richtig auszudrücken – „sie laufen dann Gefahr in ihrem Hass zu kollabieren und eine Dummheit zu tun“. Da müsse eine Bremse rein, schließt die Dozentin. Die Mauer und die Grenzkontrollen zermürben die palästinensische Jugend.

Die Wut lohnt jedoch nicht, meint Sumaya Farhat-Naser, Dozentin an der Uni Birzeit – und fordert in ihren Seminaren ein Umdenken. Vor allem gegen Propaganda im Internet. Verständnis für Konflikte, Offene Kommunikation, Mediation Und die Bremse heißt Verständnis: „Uns ist bewusst, dass wir trotz der katastrophalen Lage nur unter Berücksichtigung der israelischen Bedürfnisse einen Frieden erlangen können“, sagt Farhat-Naser.

Problem der Eskalation des Konfliktes sei jedoch eine „Entmenschlichung“ der realen Lage, welche Friedensbemühungen auf beiden Seiten beinahe unmöglich macht. Kein Jugendlicher wüsste wirklich, wie das Leben eines Gleichaltrigen auf der anderen Seite der Mauer aussieht.

Israel und Palästina liegen nah beisammen, aber eine Mauer dazwischen Private Treffen zwischen jüdischen und palästinensischen jungen Leuten haben aufgrund politischer Sackgassen nur noch Seltenheitswert. Und doch sei Frieden im Kleinen möglich.

Hoffnung für den Frieden

Die Runde im Seminarraum bleibt stumm. Hier und da wird genickt, eine junge Frau fragt: „Wie sollen wir die andere Seite verstehen lernen, wenn uns schon als Kind beigebracht wurde, dass sie die Bösen sind?“ Der junge Erwachsene aus Israel, er wird hier als Grenzsoldat, als Mauerbauer, als Siedler betrachtet.

Dass er auch nur Student, nur Konzertgänger, vielleicht Facebook-Freund sein kann – diese Idee kommt nur schwer in die Köpfe. Wut wegen Hass, Hoffnung für den Frieden Sumaya Farhat-Naser versucht es dennoch weiter. „Wir müssen aber unsere eigenen Fehler erkennen“, sagt sie, jegliche Art von Terroranschlägen müsse gestoppt werden.

Ohne einen sicheren Waffenstillstand werde es keine erfolgreichen Friedensgespräche geben können. Doch sind die erst mal in Reichweite, dann dürfe man von einer souveränen Regierung in Palästina träumen, einer von Israel unabhängigen. Das hat sie auch bei Seminaren als Fellow in den USA gelernt.

Frieden ist harte Arbeit: Die Menschenrechtlerin Sumaya Farhat-Naser bietet an der Birzeit Universität Anti-Aggressionskurse für palästinensische Studenten. Bildung fördern statt Vorurteile fordern Sie sitzt in einem Seminarraum der Birzeit Universität.

Sie verwirrt die Studenten mit strengem Blick und mildem Lächeln. Sie bietet hier Zuckerbrot und Peitsche. Die Reihe palästinensischer Studenten antwortet mit Schweigen, angestrengt schauen sie nach vorne zu der Dozentin. “Wir wissen um unsere Fehler”, sagt Farhat-Naser.

Keiner der jungen Kerle traut sich ein Widerwort. Es geht um Sprengstoff-Gürtel und Steinewerfen, um die Fehler einer frustrierten palästinensischen Jugend. Es geht um die Mauer im Land und um die Wut im Bauch.

Logbuch|Jan Thomas Otte lebte insgesamt ein halbes Jahr in der Altstadt von Jerusalem, war öfters in der West Bank unterwegs – darunter Ramallah, Hebron und Nablus…

 

Artikelbilder: © Jan Thomas Otte

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Jan Thomas Otte liest gerne "mare", das Print-Magazin. Online surft er lieber auf "admirado". Otte lebte 3 Monate in der Nähe von Manchester, 6 Monate in Jerusalem, 9 Monate bei New York. Wegen seinem Reisefieber verbrachte er auch einige Wochen an anderen schönen Flecken der Erde, auf der Südhalbkugel: Neuseeland, Südamerika und Südostasien. Als Journalist mit Reisefieber engagiert er sich bei Constart, einem Netzwerk für Korrespondenten. 2010 gründete er das Online-Magazin "Karriere-Einsichten". Und ist in den letzten 10 Jahren ebenso 10 mal umgezogen...

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