Finanzkrise war gestern, Fifth Avenue heute. In New York geht man eben shoppen – statt sich um die Weltwirtschaft zu sorgen.  Von der Krise ist in New York City nicht viel zu sehen…

Kaufhäuser, Luxusboutiquen. Die New Yorker, Einheimische und Touristen zeigen sich konsumfreudig wie eh und je. So zum Beispiel am Rockefeller Center. Der stählerne Konsumtempel mit 70 Stockwerken wurde in den 30er-Jahren gebaut, der damaligen Weltwirtschaftskrise zum Trotz.

Die heutige Finanzkrise, sie sei fast so schlimm wie 1929, sagen die beiden Rentner Alexander Clayton und Joy Bollinger. Beide hoffen sie auf den Präsidenten Obama, der „alles wieder in Ordnung“ bringt, wie sie sagen.  Auf der Fifth Avenue sieht es aus wie jedes Jahr, die Shoppingmeile sich in einen kilometerlangen Glitzerboulevard wandelt.

Juweliere wie Tiffany und Harry Winston haben die teuersten Stücke in ihren Auslagen dekoriert; das Kaufhaus Bergdorf Goodman hat seine riesigen Schaufenster in ein Winter-Wunderland verwandelt. Und das Luxus-Kaufhaus Sak’s Fifth Avenue hat sich mit dem Kristallhersteller Swarovski zusammengetan, um seine berühmten „Holiday Displays“, wie die geschmückten Schaufenster genannt werden, auch in diesem Jahr für New Yorker Kunden und Touristen zum Funkeln zu bringen.

„In diesen schweren Zeiten ist es besonders wichtig, die Zeit vorm Fest zum Ereignis zu machen“, kommentiert eine Sprecherin von Bergdorf Goodman die aufwändigen Dekorationen, über deren Budget sich die Kaufhäuser in Schweigen hüllen. In diesem Jahr will jeder dritte US-Amerikaner weniger Geld für Geschenke ausgeben, hat das Institut Gallup errechnet.

Krise auf Kreditkarte

Da kann ein wenig mehr Glitzer als sonst sicher nicht schaden. Einige wenige Amerikaner zeigen sich von der Finanzkrise dennoch unbeeindruckt: Knapp zehn Prozent der US-Bürger haben vor, in den umsatzstärksten Wochen des Jahres sogar mehr Geld in den Geschäften zu lassen als im vergangenen Jahr. Schließlich sei die Krise ja noch nicht wirklich angekommen, meint Melissa Rusert, eine Mittvierzigerin im Pelzmantel in einem Laden an der Fifth Avenue.

Hier posieren halbnackte Models, der Bass der Musik dröhnt ins Ohr, und Schwaden eines gerade beworbenen Parfums betäuben die Nase. Hat die Krise die New Yorker etwa noch nicht erreicht? Melissa Rusert schaut in Richtung Wall Street. Sie weiß aus den Nachrichten, dass auch im neuen Jahr viele Menschen ihre Jobs verlieren werden. Im Freundeskreis gebe es auch einige, die sich mit ihren Kreditkarten haushoch verschuldet hätten.

Aber es gehe schon irgendwie, sagt sie. Viele Amerikaner bemühen sich um Gelassenheit; sie wollen sich nicht verrückt machen lassen. Die beiden Princeton-Studenten Matthew Pigman und Katherine Klingman formulieren es so: „Wenn wir alle weitermachen wie bisher und kaufen, kaufen, kaufen – dann ist das doch gar kein großes Problem.“ Den Konsum weiter ankurbeln – das hatte der scheidende Präsident George W. Bush den Amerikanern auch nach dem 11. September 2001 geraten: Die Wirtschaft lebe eben vom Konsum des Einzelnen.

Die beiden Studenten wollen sich mit ihren Kreditkarten aber trotzdem zurückhalten, um nach Weihnachten kein dickes Minus auf dem Konto zu haben. Allgemein ist auf den Straßen der gebeutelten Finanzmetropole aber viel Gelassenheit zu spüren. Und das, obwohl eine Umfrage der University of Michigan gerade ergab, dass ein Drittel der amerikanischen Verbraucher stärker denn je um ihren Arbeitsplatz bangt. Ein Passant findet das alles nicht so schlimm: Man wechsle hier doch sowieso alle fünf Jahre den Arbeitgeber.

Eine Verkäuferin auf der Fifth Avenue hält es es ebenso gut für möglich, dass der Konsum im Dezember noch steige, weil viele Menschen sich „wenigstens in diesem Jahr noch das tolle neue Parfum gönnen“ wollten. Auf der anderen Straßenseite leuchten die Schaufenster des Luxus-Juweliers Tiffany. Analysten hoffen jetzt auf den gehobenen Mittelstand, Menschen wie Melissa Rusert, die sich teuren Schmuck ab 2.000 Dollar aufwärts leisten können.

Luxus und Dekadenz

Sie wissen, dass der Zusammenbruch der großen Banken und Wall-Street-Unternehmen die New Yorker Luxusbranche besonders hart trifft. Die Unternehmen hatten an den Millionen-Bonuszahlungen der Banker bislang prächtig verdient. Zwischen den Boutiquen von Designermarken wie Gucci und Versace und dem Juwelier Bulgari betteln Obdachlose auf den Treppenstufen der St. Patrick’s Cathedral.

Am unteren und am oberen Ende der Gesellschaft werde die Finanzkrise am stärksten sichtbar, sagt der New Yorker Pfarrer Mark Hostetter. In seiner Seelsorge-Sprechstunde in der First Presbyterian Church geben sich entlassene Manager und Obdachlose zurzeit die Klinke in die Hand. Im New Yorker Umland hat der Einzelhandels-Gigant Wal-Mart unterdessen eine Woche früher mit dem Weihnachtsgeschäft begonnen.

Wal-Mart wirbt mit Mengenrabatten auf Spielzeug und Urlaubsreisen, buchbar im Internet. Mit Spiel und Spaß soll es trotz der Krise nicht vorbei sein, wünscht sich ein Händler auf einem Werbeplakat am Highway nach New York City. Die Autobahn ist verstopft wie immer. Der Konsum rollt weiter.

Artikelbilder: © Jan Thomas Otte

Logbuch| Jan Thomas Otte mag das kunterbunte New York mit Leuten aus über 200 Ländern…

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Jan Thomas Otte liest gerne "mare", das Print-Magazin. Online surft er lieber auf "admirado". Otte lebte 3 Monate in der Nähe von Manchester, 6 Monate in Jerusalem, 9 Monate bei New York. Wegen seinem Reisefieber verbrachte er auch einige Wochen an anderen schönen Flecken der Erde, auf der Südhalbkugel: Neuseeland, Südamerika und Südostasien. Als Journalist mit Reisefieber engagiert er sich bei Constart, einem Netzwerk für Korrespondenten. 2010 gründete er das Online-Magazin "Karriere-Einsichten". Und ist in den letzten 10 Jahren ebenso 10 mal umgezogen...

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