Mehr Verantwortung übernehmen, Ängste vor Ungewohntem überwinden? Freude und Effizienz kommen bei den „Entrepreneurs“ in Wellington ganz von alleine…

Im zweiten Anlauf neue Dinge wagen. Schlicht „sein Ding“ machen, die Augen für unverhoffte Chancen öffnen. Jungunternehmer Tim Norton denkt nicht weniger ans große Geld sondern den Spaß und seine sozialen Komponenten.

In der Krise könnte das ein entscheidender Karrierefaktor sein. Jan Thomas Otte hat dazu am anderen Ende der Welt junge Menschen getroffen, die ihren alten Job gekündigt und etwas völlig Neues anfangen haben.

Unternehmen heißt für die Jungs von „SiliconWelly“, auf einer Insel der Glückseligen zu leben. Für sie ist es die wichtigste Entscheidung ihres Lebens gewesen, nicht bei den ersten Wellen aufzugeben. Um das nicht als Einzelkämpfer zu erleben, haben sie ihre rund 30 Solo-Firmen unter einem Dach in einer Art Unternehmer-WG in Wellington zusammengeschlossen. Nicht jeder hat eine Ausbildung oder ein Studium abgeschlossen. Manche sind direkt von der Schule gekommen, nach einem Praktikum hängen geblieben.

„Entrepreneurship“ (Unternehmertum) hat wenig zu tun mit fleißigem Studieren von Ratgebern, Bewerben um öffentliche Fördergelder, Betteln um Bankkredite oder Besuchen kostspieliger Coaching-Seminare. „Es kommt darauf an, seinen Job konkret als Berufung zu begreifen“, sagt Norton.

Bei den Unternehmern von SiliconWelly steckt das in den Genen. Ob Computer-Schrott-Künstler, Tättowierer oder Sandburgen-Bauer. Wie das im Einzelnen klappt, zeigt das Team von Tim Norton, stellvertretend für einen ganzen Jahrgang unternehmungslustiger „Kiwis“. Auf Risikokapital verzichten sie, weil sie frei im unternehmerischen Denken sein wollen.

Anders als andere Start-Up’s finanziert sich SiliconWelly ausschließlich über längerfristige Unternehmenskooperationen. „Die einen haben das Geld, wir haben die Ideen, was man damit alles machen kann“, sagt Tim. Zunehmend kämen die Kunden auch aus dem Ausland .

Dabei ist er mit seiner Produktpalette vom Programmieren einer Homepage bis zur Videokampagne breit aufgestellt. Die beiden wunderschönen Inseln im Süden hätten eben viel mehr zu bieten als Bungee-Jumping oder Mountainbiking, die Exporte von Schafen oder Kiwis.

Kreativität und Kapitalfluss

Die kreativen Köpfe im „SiliconWelly“ freuen sich an selbst gemachten Kunstwerken aus Computerschrott in ihrer Arbeits-WG gegenüber vom Kino oder einem zusammen geschaufelten Sand-Riesenfarn an der Oriental Bay vor der Haustür, der sogar in die Hauptnachrichten des Landes kam.

Sie können damit Geld verdienen. Ihre Freude daran teilen Sie mit aller Welt über Online-Videos, winken nach getaner Arbeit in die Kamera. Die Botschaft ihres Marketings bleibt aber immer dieselbe: „Made from New Zealand“. Sie haben Spaß an dem was sie tun und wollen damit auch manch zugeknöpften Europäer anstecken.

Die Jungs tragen Flip-Flsops und T-Shirt statt Lackschuhe und Kragenhemd. Ihre Kunden profitieren von diesem frischen Wind, dem „Life-Style“ den sie als Gefühl verkaufen. Hier ein paar Eindrücke:

Die meiste Zeit verbringt Tim mit seinen Partnern außerhalb des Büros, um neue Inspiration für Marketingprojekte zu bekommen. Ein „Funny Cat“ sei er, wie Tim das selbst gerne von sich sagt, ein fröhlicher Naturliebhaber. Am Tongario Crossing die beiden Vulkane bewundern, sich im Abel Tasman Park durchs Gebüsch ans Meer schlagen. Nicht selten sei dabei schon eine geniale Geschäftsidee gekommen, die er mit seinen Freunden dann auch umsetzt.

Das gemeinsame Schwitzen brachte ihn jüngst auf die Idee, eine DVD mit dem Titel „The Naked Trainer“ zu produzieren. Hintergrund war ein Denken um die Ecke. Warum gibt es keinen Fitnesstrainer, der auch mal den Frust aufgreift, wenn es mit dem asketischen Abnehmen nicht so ganz funktioniert? Am Ende wurde daraus eine Karikatur des „Fitness-Wahns“. In Neuseeland ist die Produktion eine Lachnummer, die sich gut verkaufen lässt.

Menschenkenntnis und Marketingschlager

Anfang 30, hat der begeisterte Mountainbikefahrer den Schritt in die Selbständigkeit gewagt. Mit mehr als zwanzig Kollegen teilt sich Tim die Miete im dritten Stock eines sonst eher langweilig anmutenden Geschäftshauses. Die Freude des gemeinsamen Gewinnens neuer Kunden und Finden neuer Vertriebskanäle kommt dabei für die Sunny Boys nicht zu kurz.

Auf nur 120 Quadratmetern haben sie sich ein kleines Imperium gebastelt. Spaß zu haben ist ausdrücklich erwünscht und gilt als das einzige Einstellungskriterium. Ähnlich wie bei einem Party-Büffet bringt jeder etwas mit. Dazu gehört zum Beispiel auch Schlagzeug spielen auf dem Flur oder Abhängen auf dem gemieteten Party-Boot in der Bucht von Wellington nach Feierabend. All das schaffe Sinn für Kreativität und den Mut, etwas Neues zu tun, erzählt Tim begeistert über sein Chaos im Büro.

Es fällt ihm schwer, zwischen Privatem und Beruflichem zu trennen. Barfüßig, die Matratze der letzten Nachtschicht unterm Tisch, die Zahnbürste im Bad nicht zu vergessen, sagt Tim dennoch mit ausgeschlafenen Augen: „Follow your dreams and make it happen“. Was wie die naive Lebensphilosophie eines Aussteigers klingt, scheint das Leitbild seines Business-Plans zu sein.

Es könnte sogar ein richtiger Exportschlager werden, träumt Tim. Manche Miesmacher, Spaßbremsen oder Meckerer in Deutschland könnten das vielleicht gebrauchen. In den USA ist ein Freund von ihm als Unternehmer bereits aktiv für SiliconWelly. Sie haben 2008 sogar den Online-Wahlkampf für Obama gemanagt. Der Server stand über 10.000 Seemeilen entfernt in der Bucht von Wellington.

Wertschätzung und Wertschöpfung

Verteilt über die beiden Inseln haben die jungen Unternehmer noch mehr Ideen im Kopf. Mehr als sie realisieren können, schaukeln sie sich gegenseitig in ihrer Schaffenslust hoch. Der Cash-Flow scheint wider Erwarten zu stimmen. Trotz der Krise im Ausland, mancher Konkurrenz im Inland und der letzten Stromrechnung für die ganzen Computer. „Unsere Ethik und Rentabilität der Wertschöpfungskette funktioniert“, sagt Tim.

Diese Reihenfolge sei ihm wichtig. Was ist die Erfolgsgeschichte des Unternehmens vom anderen Ende der Welt? Tim glaubt an soziale Unternehmen und will mit seinen Kollegen die Welt ein Stück weit besser machen. Arbeitslosigkeit habe er aus seinem Wortschatz gestrichen. Ersetzt hat er diesen Regenschirm-Begriff mit Namen neuer Unternehmen: PlanHQ, ProjectX Technology, Resonant Concepts, MarchingCubes.com, Snipesoft, Rocket Boys, Prestigious Memorabilia oder Silverstripes.

Eine weltweite Gallup-Umfrage an der Princeton University in den USA bestätigt, dass Glück in der Regel nichts mit Geld zu tun habe. „Im Gegenteil sind häufig solche Menschen am glücklichsten, die wenig im Portemonnaie haben“, sagt es Ökonom Angus Deaton.

Der Mensch lebt demnach nicht vom Brot, dem Bruttoinlandsprodukt allein. Unternehmer, die ihr Selbstwertgefühl weniger von Sozialsystemen wie finanziellem Ansehen oder Erfolg abhängig machen, sind freier in ihren Entscheidungen und deswegen glücklicher. Manche fliegen dafür bis ans Ende der Welt. Tim Norton und seine Partner haben es schon gefunden.

Artikelbilder: © Jan Thomas Otte

Logbuch| Jan Thomas Otte würde gerne mal am im Abel Tasman National Park der Südinsel Neuseelands paddeln gehen. Dazu blieb beim letzten Mal keine Zeit. Aber  vielleicht bei der nächsten Recherche am äußersten Ende der Welt, von Europa aus gesehen…

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Jan Thomas Otte liest gerne "mare", das Print-Magazin. Online surft er lieber auf "admirado". Otte lebte 3 Monate in der Nähe von Manchester, 6 Monate in Jerusalem, 9 Monate bei New York. Wegen seinem Reisefieber verbrachte er auch einige Wochen an anderen schönen Flecken der Erde, auf der Südhalbkugel: Neuseeland, Südamerika und Südostasien. Als Journalist mit Reisefieber engagiert er sich bei Constart, einem Netzwerk für Korrespondenten. 2010 gründete er das Online-Magazin "Karriere-Einsichten". Und ist in den letzten 10 Jahren ebenso 10 mal umgezogen...

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