Ein neues Touristenzentrum sollte am Roten Meer erschlossen werden. Bevor sie durchstarten können, kommt den Hotelbetreibern vor Ort die ägyptische Revolution in die Quere. Die Taucher sind zurück, die Badegäste bleiben aber aus. Eine Chance zum Gesundschrumpfen? Niklas Schenck berichtet…
Für die Zeitumstellung blieb dieses Jahr keine Zeit. „Storniert“, sagt Ashraf Defy Mohamden, der Rezeptionschef des Oasis-Hotels, der seine Gäste persönlich am Flughafen abholt.Touristen müssen ihre Uhren nach der Landung nicht mehr umstellen. Dass eine andere Stunde geschlagen hat, merken sie trotzdem schnell, auch hier in Marsa Alam, an Ägyptens südlicher Rotmeerküste.
„Nichts ist wie es war“, schwärmt Ashraf, dabei ist äußerlich wenig neu im Süden. Aufstände gab es hier nicht, man reiste zur Revolution nach Kairo oder klebte an den TV-Bildschirmen. Auch nach der Revolution muss Ashraf unzählige Polizeikontrollen passieren. Doch kein Beamter verlangt mehr Sonderzahlungen von ihm, niemand schikaniert ihn. Er kann sich ganz auf seine Gäste konzentrieren, und die Vorzüge der „schönsten Region am Roten Meer“ preisen.
„Vor zehn Jahren gab es hier nichts außer Wüste und Militär“, sagt er und zeigt pompöse Hotelanlagen, direkt neben riesigen Bauruinen. Ashraf ist jetzt im Verkaufsmodus, alles sei gut, die Region boome, sie habe eine große Zukunft, „kein Stress, kein Stress“. Er hat gut reden, nur wenigen Hotels geht es so gut wie dem Oasis, wo fast nur Taucher absteigen.
Marsa Alam, das sind 300 Kilometer Küste zwischen El Quseir im Norden und Ras Banas im Süden. Seit zehn Jahren wird Marsa Alam mit Hochdruck als drittes Touristenzentrum am Roten Meer entwickelt. Investoren wurde ein neues Sharm-El Sheik versprochen, der Ort selbst, einst ein Fischerdorf mit kaum 1000 Einwohnern, begann zu wachsen wie ein Blumenkohl. Man hoffte auf Pensionäre aus Deutschland und England, und war gewiss: Wären die ersten erst da, würden Tausende folgen. Bis 2020 sollte Marsa Alam rund 50.000 Einwohnern Platz bieten. Mit der Revolution platzt die Illusion.
Saubere Wüste, keine Touristen
„Hier wird jetzt lange nichts mehr passieren“, sagt Aymen Taher. Ihm scheint das nicht allzu viel auszumachen. Taher betreibt eine kleine Tauchschule in der Tondoba-Bucht südlich von Marsa Alam. Zusammen mit seiner deutschen Frau, der Meeresbiologin Constanze Conrad, fährt er ins Zentrum. Immer wieder macht er Eingaben beim Stadtrat von Marsa Alam – für einen vernünftigen Hafenausbau, für den Riffschutz, für die Müllentsorgung. „Der Ort ist sauber geworden“, sagt er, stolz, dass er sich nicht aufs Motzen zurückgezogen hat.
Aber der Ort ist auch leer geworden. Kein Tourist ist zu sehen, nur Dutzende Arbeitsmigranten, die sich auf den letzten aktiven Baustellen verdingen. Ägyptens Fußballer verspielen gegen Südafrika gerade ihre letzte Chance, sich doch noch für den Afrika-Cup zu qualifizieren. Die Kaffeehäuser quellen über vor Arbeitern, die gebannt auf Bildschirme blicken. Keine Frauen sind dabei, alle sind nur hier, um Hotels und Wohnhäuser hochzuziehen. Gebäude, die nachher keiner bewohnt.
Ein Jahrzehnt lang beunruhigten die Bauruinen in Marsa Alam niemand. Es war normal, dass Landbesitzer ein Stockwerk in die Landschaft setzten und je nach Finanzlage weitere hinzufügten. Die Regierung hatte das Land für Niedrigstpreise verschleudert, damit Investoren die Infrastruktur bauen. Ein Dollar pro Quadratmeter, oft mehr als eine halbe Million am Stück, schnell war die komplette Küste besetzt – einzige Bedingung: baldiger Baubeginn.
Doch der Plan ging nicht auf, die Infrastruktur blieb Stückwerk. Jedes Hotel hat seine eigene Meerwasser-Entsalzungsanlage, erzeugt Strom mit Dieselgeneratoren. Und Abwasser? „Das meiste versickert einfach in der Wüste“, sagt Taher. Der frühere ägyptische Tourismusminister Sohair Garranah sitzt inzwischen im Gefängnis, weil er illegal Tourismuslizenzen vergab. Marsa Alam bleibt derweil eine einzige Versorgungslücke.
„Die Stadt verlässt sich darauf, dass wir Strom, Wasser und Abwasser entwickeln“, sagt der Ingenieur Tarek Barakat Gad. Für einen kuwaitischen Investor leitete er den Bau eines 30-Millionen-Euro-Hotels im Zentrum von Marsa Alam. 350 Zimmer, 400 Arbeitsplätze, des Bürgermeister ganzer Stolz. Bis Gad im Februar aus der Ferne der Geldhahn abgedreht wurde. „Wir haben gebaut wie verrückt, aber das wird jetzt nicht weitergehen“. Gad sitzt in der Lobby des Oriental Bay, eines riesigen Luxushotels ein paar Kilometer nördlich von Marsa Alam. Ayman Taher hat dort eine Runde zusammengetrommelt, die bereitwillig Auskunft gibt.
“Vor den Wahlen kehrt keiner zurück”
„Europäische Touristen glauben, Marsa Alam liege gleich neben Benghasi“, klagt ein frustrierter Hotelmanager, „dabei liegt der lybische Konflikt näher an Italien als an uns.“ Das war immer Ägyptens Problem: Egal wo in der Region es brodelte, auch mit Ägyptenreisen wurden die Leute vorsichtiger.
„Sogar im Golfkrieg hatten wir Einbrüche“, sagt Walid Adel, Gastgeber in der Lobby des Oriental Bay. Als General Manager scheut er derzeit den Blick in seine Bücher. „Im Mai hatten wir fünf Prozent Auslastung, im Juni sieben“. Der Großteil seiner 190 Zimmer bleibt leer. Gerade einmal sieben Gäste hat er heute im Haus, während eine riesige Pool-Landschaft und großzügige Palmengärten mit Wasser versorgt und Lichtanlagen mit Strom gespeist sein wollen.
Adels Betrieb hängt vor allem von italienischen All-Inclusive-Touristen ab. „Die wurden auf die Kanaren oder in die Türkei umgebucht, vor den Wahlen kommt keiner zurück“, sagt er. Das Oriental Bay, im November eröffnet, sieht sich dem Druck großer Reiseanbieter ausgesetzt. Ein tschechischer Veranstalter gebe ihm zwei Gäste, während er im Nachbarhotel 70 Zimmer belege, sagt Adel, wegen 7 Euro Preisunterschied. „Die nutzen unsere Situation gnadenlos aus, um die Preise zu drücken“, sagt er, und fordert eine Regulierung.
Für die Taucher sind Hurghada und Marsa Alam jetzt wahre Paradiese.
Mindestpreise für Hotelzimmer bestimmter Standards müssten her, sonst würde der Preiskampf immer mehr Hotels in den Ruin treiben. Solche Regeln aber würden das Überangebot weiter zementieren. „Wir waren vorher schon zu viele, die Revolution bricht uns das Genick“, gesteht Adel. „Mindestens zwölf der 57 Hotels entlang der Küste haben seit der Revolution dicht gemacht“, sagt er.
Laut dem Statistikamt der ägyptischen Regierung sind die Buchungen im Vergleich zum Vorjahr um 46 Prozent zurückgegangen. Nur Unterwasserpuristen, die oft seit Jahren engen Kontakt zu ihren Tauchbasen pflegen, kommen in fast unveränderter Zahl. Sie haben solide Informationen erhalten und schnell das Vertrauen zurückgewonnen. Pauschal-Badeurlauber fehlen.
Die großen deutschen Charter-Anbieter Tui, Thomas Cook und Condor wollen frühestens nach den Wahlen im September ihre Flugpläne von derzeit 60 Prozent auf Normalmaß schrauben, für die nächste Saison. Langfristig rechnet Volker Böttcher, CEO von Tui, sogar mit mehr Ägyptenreisen. Der eingeleitete Demokratisierungsprozess werde „für frischen Wind und neue Urlauber“ sorgen, hofft er. In Marsa Alam könnte es dann für viele schon zu spät sein.
Noch ein, zwei Monate durchhalten
„Auf der Tourismusmesse ITB bot das ägyptische Tourismusministerium an, einen Fonds zu gründen, der das Flugrisiko der Veranstalter absichert“, erzählt Werner Lau, Chef eines der größten Anbieters für Tauchreisen. „Aber die winkten nur ab. Sie hatten alle ihre Flieger für die Saison schon umgelenkt. Dem Normaltouristen ist eben egal, wo er hinfährt“.
Ein, zwei Monate könne er das so noch durchhalten, sagt Walid Adel. Dann werde er die Hälfte seiner 200 Mitarbeiter entlassen und einen Teil des Hotels schließen. „Als nächstes schalten wir die Klimaanlage ab, irgendwann können wir unsere Gartenlandschaft nicht mehr bewässern.“ 135.000 Pfund kostet allein die Beleuchtung jeden Monat, knapp 16.000 Euro.
Die ägyptische Wirtschaft treffen die Ausfälle. Zwölf Prozent des ägyptischen Bruttoinlandsprodukts stammen aus dem Fremdenverkehr, 12 bis 15 Millionen Jobs hängen an dem Sektor. „Aber wir dürfen uns nicht auf den Tourismus allein konzentrieren“, sagt Ayman Taher, zu Hause in Tondoba.
Nach den Touristen kommt das Meer
Die unverhoffte Atempause müsse man nutzen, um andere Wirtschaftszweige auszubauen. Den Bergbau etwa, liegt doch eine der größten Goldminen des Landes ganz in der Nähe von Marsa Alam. Auch die Fischzucht in Aquakulturen könnte Einkommen generieren. „Dann wären arme Küstenbewohner nicht mehr gezwungen, in den Riffen zu fischen“, erklärt seine Frau, die gerade von einem Tauchgang mit Delphinen zurückkehrt.
Nur intakte Riffe garantieren Tauchtouristen. Selten waren die Ankerplätze so leer wie dieser Tage – und so voller Leben. Haie, Delphine, Schildkröten und Dugongs, seltene Seeschweine – Marsa Alam lockt Taucher aus aller Welt. Nur manchmal sieht man plötzlich Horden von Schnorchlern über sich, die beim Abtauchen zu den Korallen herzhaft zupacken. Dann kann man diesem Landstrich nur wünschen, dass er sich nicht so boom-artig entwickelt wie geplant.
„Man hat nichts gelernt“, sagt Conrad. „Kommen Badetouristen in großer Zahl, gehen auch hier die Korallen kaputt“. Bisher zählen die Riffe um Marsa Alam zu den aufregendsten der Welt. „30 Prozent lebende Hartkorallen, solche Werte erreicht kein anderes Tauchgebiet der Welt“, erklärt Conrad, die eine Bestandsaufnahme für die gemeinnützige Organisation „Reef Check“ koordiniert. „Die Revolution ist der beste Riffschutz“. Seit Jahren versucht sie, mit ihrem Mann über die zerbrechliche Welt unter Wasser aufzuklären. Derzeit beschäftigt sie vor allem das, was über Wasser geschieht.
„Im Prinzip wäre es gut, wenn die Hälfte der Hotels zumacht“, sagt Conrad, „dann könnten die anderen wieder akzeptable Preise verlangen.“ Wer dann noch Arbeit habe, könnte auch wieder vernünftige Löhne erwarten. „Der Umsturz wird sich langfristig auszahlen“, glaubt auch Walid Adel, der das Wohl des Oriental Bay nicht über das des Volkes stellen will. Er hofft, sein Luxushotel bis zu den Wahlen im Herbst halten zu können. Dann sollen die mächtigen Chartergesellschaften wieder Touristen bringen. „Wenn es aber nur ein paar Monate länger dauert, dann platzt hier unten die ganze Immobilienblase“, sagt er. Damit sie weiter wächst, müssten Preise und Gästezahlen stetig steigen. Vorerst aber steht Marsa Alam still.
Artikelbild: © Niklas Schenck
Logbuch| Niklas Schenck erfuhr bald selbst, was es bedeutet, dass auch deutsche Anbieter die ägyptischen Touristenorte vorerst noch austrocknen: Er musste die Chance auf eine zehntägige Reportagereise verstreichen lassen – weil es schlicht keine Flüge gab…