Schweden entdeckt man am besten vom Kanu aus. Wald und Wiesen laden zum Zelten ein – und erlaubt ist das obendrein, dank des traditionellen Allemansrätten, des Jedermannsrechts. Doch die steigende Zahl an Kanuten und anderen Outdoor-Touristen droht die Belastungsgrenzen dieses ungeschriebenen Gesetzes zu sprengen…

Von den Wellen ein wenig hin und her gewogen, glitzern kreisrunde Sonnentupfer auf der dunkelblauen Wasseroberfläche des Svärdlången-Sees.

Als das Paddel ins Wasser gleitet, zerfließen sie zu einer Seite hin, sind für einen kurzen Moment weggewischt, tauchen wieder auf und schaukeln sich in Form, ein bisschen wie Stehaufmännchen.

Das blaue Stechpaddel zieht derweil unter sanftem Plätschern einen Halbkreis neben dem Kanu, und wenn es durch die Luft zurück gleitet, formen die herabfallenden Tropfen Epizykel auf der Wasseroberfläche.

Mit Kanu durch die Seenlandschaft

Paddeln hat etwas Meditatives, vorausgesetzt, es regnet nicht in Strömen, man hat keinen Gegenwind und keine Eile. Gegen das Wetter ist manchmal kein Kraut gewachsen, vor allem in diesem Sommer. Aber wenigstens die Eile ist dem Urlauber genommen, zumindest ist das meistens ja der Witz an Urlaub.

Wer mit Zelt und Kanu ausgerüstet durch Schwedens Seenlandschaft gondelt, braucht nicht auf die Uhr zu sehen: In der Natur schließt die Rezeption nicht, Check-In ist 24 Stunden möglich. Der Tag ist getaktet allein durch Sonnenauf- und –untergang, durch Pinkelpause und Hungergefühl. Und das ist ein guter Takt.

Die Anreise ist beliebig einfach, nicht der Gast muss das Nachtlager finden, das Nachtlager findet den Gast: Sei es dadurch, dass es von einem Felsen herablacht, sei es durch Notwendigkeit, etwa bei Platzregen.

Von der Wasserseite aus verraten sich hübsche Lagerplätze dadurch, dass die dichten, dunkelgrünen Baumkronen sich etwas lichten, wie bei schütter werdendem Haar. Manchmal fällt auch das Land verdächtig flach ins Wasser, sodass es zum Anlegen geradezu auffordert.

Allemansrätten, ein Gewohnheitsrecht

Das Einchecken an diesen Plätzen rund um die Uhr und deren fast beliebige Wahl ist möglich dank des Allemansrätten, des Jedermannsrechts: ein Gewohnheitsrecht, das es jedem erlaubt, sich frei in der Natur zu bewegen. Paddler, Wanderer, Reiter, Camper sind also allesamt Nutznießer des Allemansrätten.

„Wir betrachten das Jedermannsrecht oft als Kulturerbe und manchmal sogar als Nationalsymbol“, beschreibt das schwedische Naturschutzamt das ungeschriebene Gesetz. Ursprünglich war es eine Art Lebensversicherung für Reisende, die von schlechtem Wetter oder Dunkelheit überfallen wurden, erklärt Autorin Marie-Luise Schwarz in ihrem Reiseführer „Kanuwandern in Schweden“. Das Allemansrätten habe ihnen erlaubt, auf fremden Grundstücken zu übernachten und sich von Beeren und Pilzen zu ernähren.

Prinzipiell gilt dieses Recht heute immer noch. „Wenn ihr wolltet, könntet ihr hier für 24 Stunden die Zelte aufschlagen“, sagt Erik Hansson, der einen Kanuverleih in Tollered nahe Göteborg betreibt, und zeigt auf den Rasen vor seinem Haus.

Der kleine Mann mit Harley Davidson-Shirt, Lederweste und ergrautem Haar, das im Nacken zu einem Pferdeschwanz gebunden ist, wirkt nicht so, als würde ihm das etwas ausmachen. Doch ganz so einfach ist es laut schwedischem Naturschutzamt nicht. Nicht mehr.

Nicht stören, nicht zerstören

„Es ist wichtig, das Zelt nicht in Sichtweite eines Wohnhauses oder auf landwirtschaftlich genutzten Flächen aufzuschlagen“, merkt es mit Bezug auf Lagerplätze an. „Nicht stören – nicht zerstören“, heißt der Grundsatz, den das Amt auf seiner Internetpräsenz wie ein Mantra vorbetet.

Aus gutem Grund: Mit der zunehmenden Zahl an Outdoor-Touristen stößt die Natur an ihre Belastungsgrenzen, wenn das Allemansrätten allzu liberal ausgelegt wird.

Dazu kommt ein sehr menschlicher Faktor, den Erik beschreibt: „Mittlerweile sind die Leute ein bisschen genervt, wenn dauernd Touristen auf ihren Grundstücken campen.“

Alternativplan für Touristen

In der Gegend um Bengtsfors in der etwas nördlicheren Region Dalsland ist die Urlauberwelle mit solcher Kraft hereingeschwappt, dass sich die Behörden etwas einfallen lassen mussten. „Ihr seid mehr als drei Leute, also könnt ihr euch nicht auf das Allemansrätten berufen“, erklärt Luise von der Touristeninformation in Bengtsfors.

Sie zeigt auf der Karte eingezeichnete Lagerplätze, die eigens für Paddler und andere Outdoortouristen eingerichtet sind. Für diese Plätze kauft man eine Naturschutzkarte für 30 Kronen pro Nacht (ca. 3,25 Euro). Dafür hat man eine Feuerstelle, Feuerholz und einen Unterstand, in dem man ohne Zelt schlafen kann.

So entledigen sich die Schweden mit einem charmanten Schlag gleich mehrerer Probleme: Dadurch, dass es bereits Feuerstellen gibt, wird nicht überall in den Wäldern unvorsichtig gezündelt. Dadurch, dass es Feuerholz gibt, werden nicht irgendwelche gesunden Bäume von Touristenhand gefällt.

Dadurch, dass man die Touristen auf attraktive Lagerplätze schickt, hält man sie von Vorgärten, Äckern und geschützten Gebieten fern, sodass Anwohner und Tiere ihre Ruhe haben. Und trotzdem hat der Urlauber sein Wildnis-Vergnügen, nur mit ein wenig mehr Komfort. Eine Win-Win-Situation, könnte man sagen, wenn man will.

Schnitzeljagd

Die Lagerplatz-Suche wird dadurch ein bisschen zur Schnitzeljagd, weil man von der Karte her schon weiß, wo einer ist, und ihn nur noch entdecken muss. Doch die Kriterien sind die gleichen wie beim Wildzelten: lichte Kronen, flache Anlegestellen.

Erst beim zweiten Hinsehen verrät ein zwischen den Bäumen gut getarntes Holzdach, dass man eine Nummer auf der Karte gefunden hat.

Wem die Lagerplätze dennoch zu nobel vorkommen, wer sich mehr Wildnis vom Urlaub verspricht, dem bleibt immer noch, sich diese vom Kanu aus anzusehen.

Am meisten überwältigt Schwedens Landschaft sowieso als Panorama von grünen Hügeln und steilen Felsen, die sich imWasser spiegeln. Und immerhin ist Paddeln selbst ja auch eine Nutzung des Allemansrätten.

Artikelbilder: © Denise Müller + Nils Brüggemann

Logbuch| Denise Müller wird wohl keine große Paddlerin werden. Die schwedische Traumkulisse wird sie sich aber sicher noch ein zweites Mal ansehen – dann vielleicht zu Fuß oder zu Pferd. Warum auch nicht…

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Denise Müller ist ausgebildete Journalistin. Privates, wissenschaftliches und journalistisches Interesse. Am besten die Kombination dieser drei Dinge, sie treibt Denise Müller zum Reisen an. Immer wieder! Dabei fasziniert sie das völlig Fremde wie China, Suriname, Indonesien oder Singapur. Aber auch das gute alte Europa. Trotz allen Fernwehs: Sie kehrt sie immer gerne nach Hause zurück...

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