Der St.Galler Stiftsbezirk gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe. Wir haben uns in einem der ältesten Kloster der Welt mal umgeschaut – und dabei manch interessanten Plan entdeckt. Mit Schweizer Präzision…

Im barocken Saal der Stiftsbibliothek herrscht eine andächtige Atmosphäre. Nur das leise Schlurfen der grossen Filzpantoffeln und gedämpftes Flüstern ist zu hören. „Seelenapotheke“ steht in griechischen Lettern über dem Eingangsportal.

Seelenapotheke? Das war es, was die Erbauer in dieser reich bestückten Bibliothek sahen, deren kostbare Folianten sich in den Bücherregalen wie Arzneien in einem Apothekerschrank aneinanderreihen. Nicht den Körper sollten sie heilen, vielmehr galten sie als Balsam für die Seele.

Der prachtvolle, geschwungene Saal mit seinen ornamentierten Intarsienböden, den holzvertäfelten, säulengeschmückten Bücherschränken und reich stuckierten Deckengemälden ist ein barockes Gesamtkunstwerk: Hier verbinden sich Architektur, Skulptur, Malerei und Ausstattung in harmonischer Weise.

Die ab 1755 errichtete Rokokobibliothek ist Teil des weitläufigen St.Galler Stiftsbezirks im Herzen der Altstadt. Sie zählt zu den schönsten historischen Büchersälen der Welt. 1983 wurde die Bibliothek mit dem gesamten Stiftsbezirk in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen und ist heute eine der zehn Welterbestätten der Schweiz.

Die UNESCO hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Kultur- und Naturgüter der Menschheit, die einen „aussergewöhnlichen universellen Wert“ besitzen, zu erhalten. Der Stiftsbezirk von St. Gallen ist, so begründet die UNESCO ihre Entscheidung für die Aufnahme des Klosterkomplexes in die Welterbeliste, ein herausragendes Beispiel eines grossen Klosters, das vom 8. Jahrhundert bis zu seiner Auflösung 1805 eines des bedeutendsten in Europa war.

Die Bibliothek mit ihren kostbaren Manuskripten und die Stiftskirche verkörpern als Teil der barocken Bauphase des bemerkenswerten architektonischen Komplexes die kontinuierliche 1200-jährige Geschichte. Einst geistiges Zentrum Europas Dort, wo schon die Einsiedelei des heiligen Gallus war, gründeten Mönche im 8. Jahrhundert die Abtei.

Urkunden über 1000 Jahre alt

Unter dem Schutz von Kaisern, Königen und hoch gebildeten Äbten entwickelte sich das Kloster zu einem bedeutenden geistigen Zentrum des europäischen Abendlandes. Noch heute verwahrt das Stiftsarchiv gegen 900 Urkunden von Schenkungen und anderen Besitzerwerbungen, darunter Dutzende von Herrscherurkunden aus der Zeit vom 8. bis 10. Jahrhundert.

Die Stiftsbibliothek zählt heute rund 170’000 Bände, darunter etwa 400 irisch-keltische, karolingische und ottonische Handschriften aus der Blütezeit des Stifts vor dem Jahr 1000. Aus der Zeit der ersten Buchdrucke bis 1500 sind rund 1’000 Inkunabeln erhalten. Die älteste und eine der berühmtesten Architekturzeichnungen des Mittelalters, der St.Galler Klosterplan, und ein im Jahr 790 entstandenes lateinisch-deutsches Wörterbuch, das älteste deutschsprachige Buch überhaupt, gehören zu den kostbarsten Schätzen der Bibliothek.

Einzigartig ist, dass viele dieser Handschriften im St.Galler Kloster entstanden und bis zum heutigen Tag dort verblieben. Der Stiftsbezirk: Dauerbaustelle bis zur Zeit des Barock Die lange Geschichte des Klosters war geprägt von einer enormen Bautätigkeit. „Kirche auf Kirche folgte, die jede auf ihre Weise eine Spitzenleistung darstellte“, so Daniel Studer, Inventarisator der Kunstdenkmäler des Kantons St.Gallen.

Der jüngste Kirchenbau im Stiftsbezirk ist die barocke Stiftskirche, die zwischen 1755 und 1765 entstand. Der Baumeister der berühmten, barocken Wallfahrtskirche „Birnau“ am Bodensee, der Vorarlberger Peter Thumb, schuf mit Malern, Bildhauern und Stuckateuren eine Wandpfeilerkirche, die sich im Inneren aus kunstvoll hintereinander gruppierten Zentralräumen zu einem rhythmisch schwingenden Langraum zusammensetzt.

Flügelausbau nach der Reformation

Die Doppeltürme der Kirchenfassade überragen weithin sichtbar den Klosterkomplex. Barock bewegt und ausgewogen gegliedert, hebt sich die sandsteinfarbige Kirchenfront von den schlichten Fassaden der Flügelbauten ab. Und heute? Die Reformation, die Klosteraufhebung 1805 und umfassende Renovierungen im 20. Jahrhundert hatten zwar bauliche und nutzungstechnische Veränderungen des Stiftsbezirks zur Folge, störten jedoch nicht das Gesamtbild der Anlage.

Heute gruppieren sich um den langgestreckten Klosterhof an drei Seiten Flügelbauten aus unterschiedlichen Epochen und die im Osten in den Klosterhof eingestellte barocke Stiftskirche. Auch die zentrale Bedeutung, die das Kloster immer innehatte, ist mit der gegenwärtigen Nutzung der Gebäudeteile erhalten geblieben. Im südlichen Hofflügel ist noch heute die Bischofswohnung mit der Gallus- und Hofkapelle untergebracht.

Der Gebäudeflügel an der östlichen Schmalseite, die Neue Pfalz, einst Residenz des Fürstabts, ist heute Sitz der St.Galler Kantonalregierung.

Artikelbild: © NN/ St. Gallen Tourismus

Logbuch| Jan Thomas Otte war beeindruckt von den vielen, säuberlich geschriebenen und sortierten Papieren. Handarbeit! Am spannendsten jedoch war der Klosterplan, die Masterfolie für andere Klöster im Abendland ….

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