Teneriffa hat Charakter. Viele Deutsche reisen im Winter hierher. Vom Arzt mit Dialyse-Klinik über den Möbel-Bauer bis zur Beautyfarm ist gesorgt, 365 Tagen Sonne im Jahr…

Was tun nach der Karriere, schon Pläne für den Feierabend? Fernab von Schnee, Graupelschauer und Eis überwintern, das milde Klima genießen.

In der Sonne des Südens, auf den Kanaren zum Beispiel. Sanft und wild, mild und herb zugleich.

Ein leichteres Leben, versprechen sich viele. Als Pauschalurlauber, auf Selbstfindungs-Trip oder als Ruheständler. Wer es sich leisten kann, verbringt hier dann den Rest seines Lebens. Wer diesen Luxus nicht aufbringen kann, kommt nur über die Wintermonate auf die Kanarischen Inseln.

Die Flora des Archipels erinnert an einen Garten Eden: Pinien und Kastanien wachsen wie Palmen und Kakteen in der Landschaft, zinnoberrote Weihnachtssterne und andere tropischen Blumenarten blühen sogar am Straßenrand. Passatwinde bringen wohltuend feuchte Luftmassen, beleben Körper, Geist und Seele.

Teneriffa ist ein Kontinent im Miniaturformat, mit menschenleeren Mondlandschaften und faszinierenden Lavafeldern, subtropischen Lorbeerwäldern und Obstplantagen bis hin zum schwarzen Sandstrand an der Küste.

Die mit 2000 Quadratkilometern Fläche größte kanarische Insel bietet seinen Besuchern einen gekonnten Spagat zwischen Selbstfindung und Sonnengrill.

Ruhestand: Vom Ruhrpott auf die Kanaren

Auch Helga und Manfred aus Bochum, beide siebzig Jahre alt, schätzen die Vorzüge dieser Insel. Sie kommen schon seit 28 Jahren hierher und haben ihren schönsten Platz an der Sonne gefunden. Vom November bis März überwintert das Paar aus Bochum jedes Jahr in San Andres, einem beschaulichen Fischerstädtchen jenseits der lebendigen Großstadt Santa Cruz.

Helga arbeitete bis zu ihrer Pensionierung im Reisebüro und hatte sich den bunten Hochglanzprospekten aus aller Welt zum trotz auf den ersten Blick in Teneriffa verliebt: „Mich hat mein Reisefieber hier hin gezogen, ich konnte nicht einfach zu Hause rumsitzen und Däumchen drehen“.

Manfred hat früher als Offizier bei der Marine gearbeitet. Vom pensionierten Bundeswehrsoldat über den hängen gebliebenen Lufthansa-Pilot bis zum ehemaligen Traumschiffkapitän der ZDF-Serie: Sie alle haben hier ihr Herz verloren und fühlen sich wohl. Fußballprofi Jupp Heynckes trainierte hier einst den spanischen Erstligisten CD Teneriffa.

Während heute der Kinderbuchautor Janosch entspannt seine Geschichten vom kleinen Tiger und dem kleinen Bären malt.

Überwintern ist aber nicht nur ein Traumstunde für betuchte Prominenz.

Traum von vielen: Eigenes Haus am Meer

Normalbürger, die sich keine Villa am Meer leisten können, kommen per Billigflieger vom Festland herüber und mieten sich günstig in einer der privaten Fincas auf dem Land ein.

Helga und Manfred fahren in ihrem Winterhalbjahr konsequent mit dem grellgrünen „Titsa“-Bus durch die Gegend, ein Auto brauchen sie nicht und für die Miete einer großzügigen Wohnung ist kein Geld [3] da. Sie übernachten in einem kleinen Appartement bei Freunden in dem Städtchen San Andres, welches nördlich der lebendigen Provinzhauptstadt Santa Cruz liegt.

Hier im Norden wird nur privat vermietet, ihre Sachen könnten sie im Sommer dort lassen. Im Supermarkt orientieren sich die Preise am deutschen Niveau, Milchprodukte sind etwas teurer, Fisch dafür umso billiger. Auf Konsumwaren, Treibstoff und Tabakwaren gibt es auf den Kanaren keine Steuer vom Staat, das schont den Geldbeutel.

Ohne Gesundheitsreform glücklich

Das Bochumer Paar leidet unter der Volkskrankheit Rücken- und Gelenkschmerzen. Da ist das milde Ozeanklima genau richtig. Sie kennen einige Patienten, welche mit Multipel-Sklerose und Osteoporose, Rheuma und Asthma hierher kommen.

Über mangelnde medizinische Versorgung beklagt man sich nicht, es gebe genug deutsche Ärzte und Therapeuten. Fernab des Debakels um die deutsche Gesundheitsreform machen sie sich ein schönes Leben.

Sogar ein deutschsprachiges Altersheim befindet sich auf der Insel. Das Pflegepersonal sei dort viel entspannter als zu Hause in Deutschland, der Service scheint zu stimmen.

Deutsche Dienstleistungen auf den Kanaren

Vermissen muss man auf Teneriffa nichts. Im Wochenblatt, der deutschsprachigen Zeitung für den Archipel, wird massiv für deutsche Dienstleistungen aller Art geworben, das Gelbe vom Ei versprochen. Alles soll schneller, freundlicher und vor allem günstiger als zu Hause sein.

Vom Arzt und der Dialyseklinik, über den Makler und das Möbelhaus bis zur Beautyfarm scheint hier alles vorhanden zu sein, was man zum Leben im Alter so braucht. Sogar ein deutsches Bestattungsunternehmen hat sich hier niedergelassen. In Los Gigantes leben mehrere Hundert Briten, welche die Statistik noch vor Deutschland mit mehreren Millionen Besuchern pro Jahr anführen. Mit eigenen Läden, Restaurants und Bars haben sie es sich hier häuslich gemacht.

Die deutschen Langzeiturlauber, welche sich weder eine Villa am Meer noch ein einsames Bauernhaus in den Bergen leisten könne, ziehen eher die Mischung in den Touristenzentren Las Americas und Los Christianos vor. Im sonnensicheren Süden werden immer noch zahlreiche Bettenburgen und Bausünden des Massentourismus in die Höhe gezogen.

Die beiden Naturliebhaber Helga und Manfred kennen die Insel wie ihre eigene Westentasche, entdecken aber auf zahlreichen ausgedehnten Wanderungen immer noch neue Winkel. Kürzlich waren sie bei Taganana, einem Geheimtipp für Lungenkranke.

Eine schroffe Felsküste, schwarzer Sandstrand und extrem starke Brandung sorgen für eine beeindruckende Kulisse. Ursprünglich in Bochum zu Hause inhalieren sie hier statt Verkehrsgestank den gesunden Wasserdunst, welcher das ganze Jahr trotz Trockenheit den Berghängen frisches Grün beschert.

Nach einem fangfrischen und besonders leckeren Fischgericht in der „Casa Pesa“ beobachten die Senioren aus sicherer Entfernung die akrobatischen Künste von Wellenreitern: „Das waren damals noch Zeiten, als wir jung und dynamisch waren“, seufzt Helga.

Langzeiturlauber und Residenten

Helga und Manfred sind ein agiles Paar geblieben, sie genießen ihren Ruhestand in vollen Zügen, gehen wandern, schwimmen und halten nebenbei ihr Gehirn mit einem Sprachkurs fit.

Viele Senioren würden hier jedoch nochmals mit neuen Liebschaften, Verjüngungskuren und Spielcasinos ihre Pubertät ausleben wollen weiß der deutsche Inselpfarrer Wilfried Heitland, welcher acht Jahre lang in Norddeutschland Pastor war.

Seine Aufgaben seien hier nicht viel anders als in Bielefeld: Eine „Dorfkirche“, welche sich in einer bunten Konstellation von Langzeiturlaubern und Residenten zusammensetzt und gleichzeitig den Treffpunkt für alle Deutschen auf der Insel bildet.

„Der Traum vom ewigen Frühling verwirklicht sich nicht immer so romantisch, wie man ihnen gerne hätte“, mahnt Heitland seine Gottesdienstbesucher. Schon so manche Beziehung wäre in die Brüche gegangen, weil das Wohnen auf engerem Raum eben auch Reibeflächen provoziert: „Viele Ältere merken nach einigen Jahren trotz kosmetischer Verjüngungskur, Unterhaltung und dem einen oder anderen Flirt, dass die Jugend eben doch vergänglich ist, Körper und Seele nicht mehr jeden modernen Trend mitmachen.“

Nach vielen glücklichen Jahren auf der Insel hätten manche Gäste auch wieder Sehnsucht nach Deutschland, nach der Familie, den alten Freunden und sogar dem Wetter zu Hause, weiß der Pfarrer von seinen Sonnenemigranten: „Irgendwann nervt das hier, kaum Wolken, nur blauer Himmel und keinen richtigen Frühling, weder Herbst noch Winter.”

Artikelbilder: © Jan Thomas Otte

Logbuch| Jan Thomas Otte will bei seinem nächsten Aufenthalt auf Teneriffa die Mascaschlucht bei Los Gigantes bis zum Ende durchwandern. Beim letzten Mal war das Bootstaxi schon wieder weg. Zu viele Blumen geknipst…

Vorheriger ArtikelNew York: Shoppen nach der Krise
Nächster ArtikelWellington: Wind und Unternehmergeist
Jan Thomas Otte liest gerne "mare", das Print-Magazin. Online surft er lieber auf "admirado". Otte lebte 3 Monate in der Nähe von Manchester, 6 Monate in Jerusalem, 9 Monate bei New York. Wegen seinem Reisefieber verbrachte er auch einige Wochen an anderen schönen Flecken der Erde, auf der Südhalbkugel: Neuseeland, Südamerika und Südostasien. Als Journalist mit Reisefieber engagiert er sich bei Constart, einem Netzwerk für Korrespondenten. 2010 gründete er das Online-Magazin "Karriere-Einsichten". Und ist in den letzten 10 Jahren ebenso 10 mal umgezogen...

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein