Direkt am Bodensee. Bregenzer Festspiele im Kleinen, sozusagen. Einfache Worte, die jeder versteht. Witz und Charme. Und dennoch anspruchsvolles Schauspiel. Ob der Apfelbauer oder der Uni-Professor, Schweizer und Deutsche gehen im Sommer gemeinsam ins Theater. Mit Werken von Brecht, Dürrenmatt oder – wie diesen Sommer- Nestroy…

Nach einem Abstecher ins Maisfeld im vergangenen Sommer kehrt das See-Burgtheater 2011 auf die Seebühne im Kreuzlinger Seeburgpark zurück. Vom 14. Juli bis 11. August 2011 steht mit „Der Zerrissene“ von Johann Nestroy eine Posse mit Gesang auf dem Programm.

Zerrissen ist der Kapitalist Herr von Lips vom Lebensüberdruss. Er hat alles, darum ist ihm nichts etwas wert. Aus schierer Langeweile beschließt er, die Nächstbeste, die ihm begegnet, zu heiraten. Die „Glückliche“ ist Madame Schleyer, die in Erwartung der Millionen sofort einwilligt.

Falsche Freunde

Für die Feste mit seinen Freunden hat Lips eine Seeterrasse bauen lassen. Der Schlosser Gluthammer, der das Geländer montiert, erkennt in Madame Schleyer seine ehemalige Geliebte, die er entführt glaubt. Beim folgenden Handgemenge stürzen Lips und Gluthammer mit dem losen Geländer in den See.

Während sich ein jeder für den Mörder des anderen hält, öffnet das Leben im bäuerlichen Unterschlupf dem gebeutelten Herrn von Lips die Augen für das einfache Glück und die gute Seele Kathi.

Der Stoff des 1844 geschriebenen Stückes ist immer aktuell. Der scharfe Humor, die ironischen Couplets und der Sprachwitz machen den „Zerrissenen“ zu einem der grössten Erfolge Nestroys.

„Theaterabende voller scharfem Humor und ironischer Lieder“, die verspricht Leopold Huber. Er ist Regisseur und Intendant des See-Burgtheaters. Nur leicht hat er das 1844 uraufgeführte Stück für seine Inszenierung bearbeitet. Denn der Stoff aus der Zeit des abgründigen Biedermeiers ist so zeitlos wie der Sprachwitz seines Dichters.

Gelangweilt vom Luxus, zerrissen vom Überdruss entwickelt der Kapitalist Herr von Lips auf seiner Seeterrasse eine kuriose Idee: Die erstbeste Frau, die ihm begegnet, will er ehelichen. Kaum kommt sie in Gestalt der Madame Schleyer um die Ecke, ist auch schon ein Nebenbuhler zur Stelle.

Schlosser Gluthammer – engagiert, um ein Geländer anzubringen – meint in der Zufallsbraut seine entführt gewähnte Verlobte zu erkennen. Beim unvermeidlichen Handgemenge zwischen den Konkurrenten stürzen beide – samt Geländer – ins Wasser. Während sich ein jeder für den Mörder des anderen hält, öffnet das Leben im bäuerlichen Unterschlupf bei seinem Pächter Krautkopf dem gebeutelten Herrn von Lips die Augen für das einfache Glück und die ehrliche Liebe.

Unerträglichkeit des Seins

Überdimensionale Goldbarren beherrschen zunächst die Kulisse auf der Seebühne, die einen idealen Schauplatz für die Terrasse des Kapitalisten abgibt. Zum zweiten Akt verwandeln sie sich – „umgekehrt als wie im Märchen“, wie Leopold Huber schmunzelt – in Strohballen. Die Musik kommt in diesem Jahr vom Band. Passend zur Dekadenz des Zerrissenen singt von Lips seine einsamen Monologe zur Karaoke-Maschine.

Verkörpert wird der Zerrissene von Florian Steiner, der letztes Jahr als etwas begriffsstutziger Hans in „Die schwarze Spinne“ seine Premiere beim See-Burgtheater feierte. Astrid Keller, Mitbegründerin und Co-Leiterin des professionellen Ensembles, schlüpft in die Rolle der geldverliebten Madame Schleyer.

Ein Wiedersehen gibt es mit weiteren bewährten See-Burgtheater-Schauspielern. Erich Hufschmid mimt den Schlosser Guthammer, Werner Biermeier den Bauern Krautkopf, Simon Engeli und Bastian Stoltzenburg die zweifelhaften Freunde Wixer und Sporner.

Die Generalprobe war noch ins Wasser gefallen. Doch rechtzeitig zur Premiere am Donnerstag zeigte sich der Himmel über dem Kreuzlinger Seeburgpark in der schönsten Abendsonne, als das See-Burgtheater zur Posse mit Gesang an die Seebühne lud.

Johann Nestroys „Der Zerrissene“. Eine turbulente Komödie um den Herrn von Lips, der vom eigenen Reichtum gelangweilt mit der Liebe Glücksspiel treibt. Mit dabei, zeitpolitisch angepassten Couplets des Herrn von Lipps. Mit Gesangs- und Tanzeinlagen der geldbesessenen Madame Schleyer und der zweifelhaften Freunde Sporner und Wixer.

Schadenfreude, schönste Freu(n)de

Die kämpferischen Slapstickszenen mit dem Schlosser Gluthammer und dem Pächter Krautkopf oder die lakonischen Kommentare der guten Kathi. Ins Staunen versetzten der Fuhrpark der samt Fahrrad, Roller, Taxi und Postauto zwischen Bühne und Zuschauertribüne vorbeizog und der Kulissenwechsel per Traktoreinsatz auf offener Bühne.

Für ihre Spielfreude wurden Florian Steiner, Katharina Schenk, Astrid Keller, Erich Hufschmid, Bastian Stoltzenburg, Simon Engeli, Werner Biermeier, Ulrich Fausten und die wandelbaren Statisten am Ende frenetisch gefeiert. Jeden Sommer, von Mitte Juli bis Mitte August, bietet das See-Burgtheater mehrere Tage die Woche – wie Herr von Lips sagen würde – „den Senf für das alltägliche Rindfleisch des Lebens“.

Artikelbilder: © Mario Gaccioli

Logbuch| Jan Thomas Otte hat bei der Open-Air-Aufführung ein paar Mückensticke bekommen. Trotz engagiertem Mitwippen bei den Musik- und Slapstick-Einlagen. Daher ein Tipp für alle Nachahmer: Mückenschutz nicht nur mitnehmen, auch sprühen….

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Jan Thomas Otte liest gerne "mare", das Print-Magazin. Online surft er lieber auf "admirado". Otte lebte 3 Monate in der Nähe von Manchester, 6 Monate in Jerusalem, 9 Monate bei New York. Wegen seinem Reisefieber verbrachte er auch einige Wochen an anderen schönen Flecken der Erde, auf der Südhalbkugel: Neuseeland, Südamerika und Südostasien. Als Journalist mit Reisefieber engagiert er sich bei Constart, einem Netzwerk für Korrespondenten. 2010 gründete er das Online-Magazin "Karriere-Einsichten". Und ist in den letzten 10 Jahren ebenso 10 mal umgezogen...

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