Hinter den sieben Bergen gibt es viel frisches Grün, fast wie auf der Modell-Eisenbahn-Platte. Dazu, fast kitschige Berg-Bauern-Häuser. Mittendrin, zwischen Liechtenstein und St. Galler Kanton käst Köbi Knaus wie eh und je. Ein Almbesuch im Toggenburg…
Köbi meckert, der Kühlschrank ist kaputt. Die gelagerten Käselaibe unterm Dach dürfen nicht vergammeln. Schweiß rinnt über seine Stirnfalten, hinein ins himmelblaue Unterhemd, das in der Jeans sitzt. 64 Jahre alt, gräuliches Haar, Sennerring im rechten Ohr, geht Jakob Knaus, genannt „Köbi“, dem nach, was er „sein liebstes Hobby“ nennt: der Sennerei.
Seit 50 Jahren arbeitet Knaus als Senner, hoch oben in den Schweizer Bergen. Momentan hütet er 24 Kühe, 15 Kälbchen, fünf Ziegen und sechs Schweine auf der „Trosen“-Alm. Auf 1700 Metern stehen seine drei Hütten: der Kuhstall, der Käseraum, das Chalet.
Eine Stunde Fußweg vom letzten Parkplatz im Toggenburger Tal, oberhalb der Baumgrenze. Die Morgensonne scheint hinüber zu den sieben Bergen auf der anderen Talseite, den Churfirsten. Ihre daumenartigen Gipfel heißen Chäserugg, Hinterrugg und Schibenstoll, Zuestoll, Brisi, Frümsel und Selun.
„Fast noch schöner als das Matterhorn“, schwärmt Köbi über sein Alpenpanorama. Zeit zum Ausblick genießen hat er kaum. Er hat ja alle Hände voll zu tun.
Der Kühlschrank läuft inzwischen wieder, Dank einer neuen Gaskartusche. Nun muss Knaus das Holzfeuer unter dem Kessel anschüren. Nicht zu warm, 32 Grad Celsius beträgt die Ideal-Temperatur zum Käsen.
An guten Tagen, wenn viel frisches Gras mit Blümchen wächst, liefern seine Kühe bis zu 700 Litern Milch. Heute hat der Senner 260 Liter gemolken. Ein Drittel davon wird mit der „Harfe“, einem Y-förmigem Edelstahlrahmen mit feinen Drähten, zu Käsebrocken gerührt.
100 Tage, 40 Euter im Ein-Mann-Betrieb
Hundert Tage arbeitet Köbi hier im Jahr auf der Alm und produziert dabei etwa 13 Tonnen Käse. Davon kann seine Familie gut leben. Das Produktsortiment der Familie Knaus: Bergkäse, Sennenkäse und „Blodderchäs“.
Vom hofeigenen Marketing wird dieser als besonders fettarmer aber proteinhaltiger Käse angepriesen. Seit 2000 Jahren schon rühren ihn die Senner. Anders als den Appenzeller Käse, der zwar aus den Regalen der Discounter bekannt ist, den es aber erst seit 40 Jahren als „gängiges Label“ gibt, wie Köbi erzählt.
Knaus Frau Rösli kümmert sich im Sommer um den Haushalt, versorgt das Bauernhaus der Familie und den hofeigenen Tante-Emma-Laden. Im Direktvertrieb kauft man den Knaus’ dort das Kilo Bergkäse für 17 Franken ab, die Ladenbesitzer im Dorf schlagen nochmals 5 Franken drauf.
Köbis Referenzenkunden: Die Drogerie in Wildhaus oder die Käserei Kaufmann in Mosnang. Dazu kommen ein paar Restaurants.
Seit 5 Jahren kann ihn seine Familie sogar mit dem lilafarbenen, Allrad-fähigen Subaru besuchen. Ein Schotterweg wurde gebaut, finanziert über die Umlage von Kuhrechten mit anderen Almen. Vorher ging’s mit Pferd und Eseln hinauf.
Zwei-Drittel Wertschöpfung auf der Alm
„Das Käsegeschäft ist hart, nicht nur körperlich“, weiß Köbi. Marken wie „Appenzeller“, „Emmentaler“ oder „Tilsiter“ seien nicht geschützt und brächten im Massengeschäft nur noch fünf Franken das Kilo. Für einen überzeugten Biobauern wie Knaus ein Unding.
Statt sich drüber zu ärgern, kümmert er sich lieber um seinen eigenen Käse: „Man will sich verbessern, ganz klar“.
Der Qualitätskontrolleur kommt regelmäßig. Der hobelt in einige Laibe Käse, riecht, schmeckt und guckt, notiert. Neulich war bloß eine Blase im Schweizer Käse. Köbi ratlos: „Irgendwas stimmte nicht mit der Blasenbildung“.
Am Rotsteinpass, 300 Höhenmeter weiter oben, schläft die Konkurrenz nicht. Die Sennerin auf der „Schafboden“-Alm hat vor ein paar Jahren ihren alten Job als Landschaftsgärtnerin an den Nagel gehängt. Auch sie verdient nun mit dem Käse. Ein paar Ziegenmilch-Shakes für müde Wanderer kommen hinzu. Im Winter sei die neu zugezogene Kollegin aber auf der Kanareninsel La Gomera.
Die Ruhe des Senners könnte bald ein Ende haben. 2012 wird Köbi wohl der bekannteste Schweizer Älpler sein, durch einen Werbespot der Supermarktkette Migros.
Im Fernsehen wird er einen Senner spielen, der um seinen liebsten, abhanden gekommenen Käse trauert, ihn auf Umwegen aber wiederfindet. Köbi sucht noch eine Vertretung, die sich während der drei Drehtage ums Melken und Käsen kümmert. „Im Zweifelsfall müssen die eben zu mir kommen“, sagt der Hauptdarsteller.
Dann muss Köbi weiter. Gegen sieben Uhr abends müssen wieder rund vierzig Euter gemolken werden. Dann kommt das Abendessen. Der Senner tischt in seiner Bude auf, was mittags übrig geblieben ist.
Gekocht wird, was da ist, was passt, zu selbst angebauten Kartoffeln oder mitgebrachten Teigwaren. „Feierabend“ ist gegen halb neun. Bis dahin hat Köbi 15 Stunden gearbeitet. Vorausgesetzt, keine Kuh kalbt oder hat Bauchweh.
Fast 500 Jahre wirtschaftet seine Familie nun schon auf der Alm Trosen, in zwanzigster Generation. Mit 14 übernahm er die Alm seines Vaters. Aufhören wird er nicht: „Vorher sterbe ich“, sagt Köbi.
Als Alm-Öhi, als letzter seiner Art sieht sich Senner Knaus nicht. „Meine Arbeit ist absolut kein Auslauf-Modell.“ „Es hier nicht wie bei Heidi“, sagt er und zeigt hinüber ins Nachbartal. Dort liegt Maienfeld, der Ort des mehrfach verfilmten Romans von Johanna Spyri.
Wer über die Almen des Toggenburg wandern möchte, kann für 17 Euro auf der Ochsenhütte übernachten. „Massenlager“, Plumpsklo und Kuhtränke zum Waschen, Frühstück gibt es auch. Gehfaule werden mit dem Materiallift transportiert.
Wem das nicht so liegt, kann trotzdem mit Blick auf Köbis Alm einschlafen. Das Hotel Sternen bietet fürs Fünffache (ca. 85€) mehr Komfort, zum Beispiel Klangliege „Tabuala Sonora“. Dafür aber auch weniger Abenteuer.
Logbuch| Jan Thomas Otte schaffte es nur auf einen der sieben Churfirsten. Und hätte bei guter Sicht fast den Montblanc gesehen. Stattdessen blieb sein Blick an den Almwiesen hängen. Auch schön…
Lesetipp
Gut zusammengefasst, von der leichten Taltour bis zur anspruchsvollen Gratquerung ist alles drin. Die Wanderkarte können Sie knicken, dieser Wanderführer (Rother, 2010) reicht aus. Kaufen! Einzige Haken, wie öfters bei Rother: Die „roten“ Touren, mittlerer Schwierigkeitsgrad, sind eher was für Profis und ambitionierte Bergwanderer als den geneigten Spaziergänger. Und die Höhenangaben sind schematisch dargestellt, will sagen manches Auf und Ab taucht im Profil nicht auf.
Sponsoren
Die für diese Recherche erforderlichen zwei Übernachtungen, ein Mal auf der Hütte, ein Mal im Hotel, wurden ebenso wie die Seilbahnfahrten vom Tourismusverband Toggenburg finanziert. Vielen Dank!
Artikelbilder: © Jan Thomas Otte