Herbst ist Erntezeit. Und die Weinberge gehören zu Südtirol wie seine Apfelplantagen. Viele Jahre wurde der Wein in Tanklastern über den Brennerpass kutschiert, wie Sangria im Eimer konsumiert. Zwischen Schlerngipfeln und Kalterer See veredeln jetzt Weinbauern den Rebensaft. Wir haben fünf freie Winzer an der Weinstrasse besucht, vom Ex-Milchmelker bis zum Biodynamiker…
Es duftet nach Speck und Eiche im Weinkeller von Johannes Pfeifer. Zusammen mit seiner Frau Margareth lenkt er die Geschicke vom Pfannenstielhof, beide Anfang 50. Er nimmt eine Probe Wein mit der Pipette, der neue Vernatsch wird gut, schmeckt er – mal wieder. Denn Tradition verpflichtet und zeigt in Richtung Weinberg.
Schon 500 Jahre wachsen hier charakterstarke Rotweine im Familienbesitz. Mit ihrem St. Magdalener Classico haben sie 2009 als erste Winzer mit einem Vernatsch gleich drei Gläser im Weinführer Gambero Rosso bekommen. Das freut Margareth, die promovierte Mathematikerin, ganz besonders. Beim Vertrieb der Weine helfen ihre Kinder, zum Beispiel beim Ausschenken und Kellern auf den umliegenden Weinfesten in der Bozner Region.
Die Etablierten
Jemand, der sich ganz genau mit Vertrieb, BWL und Kostenrechnung auskennt ist Andreas Nicolussi-Leck vom Stroblhof. Der 60jährige Betriebswirt verdient sein Geld mit Weintourismus in ausgeprägter Form und ist Experte auf seinem Gebiet. Auf seinem Weingut gibt es guten Wein, klar.
Seinen Weinkeller hat er aber gerade erst modernisiert, mit einer Mischung aus Patinastahl und Edelglas. Oben wird derweil im hoteleigenen Restaurant leckeres Essen serviert. Das Vier-Sterne-Haus samt Spa-Bereich gelte gelegentlich als Treffpunkt der Südtiroler Society, verrät uns Nicolussi-Leck später bei der Weinprobe.
Society, damit kennt sich auch Michael Graf Goëss-Enzenberg vom Schloss Manincor aus. Der bekannte Wetten-Dass-Moderator Thomas Gottschalk war bereits bei ihm zu Besuch, ebenso Ex-TV-Kommisar Rex, Tobias Moretti und andere Stars, die in einer der Suiten im Schloss-Anbau nächtigten. Diese und andere Anekdoten sind im hofeigenen Magazin nachzulesen. Goëss-Enzenberg redet lieber über die Qualität seiner Weine – und die sogenannte Biodynamik.
Der gelernte Ingenieur, Anfang 50, hat über Rudolf Steiners Lehren philosophiert – vor allem die Auswirkung von Ackerschachteltee auf seine Reben. Und diese verteilen sich auf 50 Hektar, mehr als jeder andere freie Weinbauer in Südtirol. Auf dem gräflichen Anwesen produzieren seine dreissig Mitarbeiter, in Erntezeiten können es deutlich mehr sein, komplett biodynamische Weine. Diese sind zwar alles andere als günstig, aber wer einmal auf den Geschmack gekommen sei, wisse dieses Investment zu schätzen, so der Graf.
Und mit Investments kennt sich Goëss-Enzenberg bestens aus, hat er doch erst kürzlich mehrere Millionen Euro in den Umbau seines Anwesens investiert. Die perfekte Mischung aus umliegender Natur am Kalterer See, mehrere Jahrhunderte Historie und die Moderne – aus Fliessbeton und Glas.
Die Newcomer
Investiert hat er auch, wir sind vom Kalterer See im Süden hinauf ins Eisacktal gefahren, zu Markus Prackwieser vom Gumphof, Mitte 30. Ein junger Winzer im Familienbetrieb. Vor ein paar Jahren hat Prackwieser hier noch Kuheuter gemolken.
Das war aber mal, denn mittlerweile bekommt er für seine Weißweine viele Auszeichnungen. Für die er täglich mit seiner orangenen Vespa, Baujahr 1974 durch den Hang düst.
Düsen tut er auch, aber mit seinem Mountainbike und das in der wenigen Freizeit, die er als freier Weinbauer hat: Florian Brigl vom Weingut Kornell, Mitte 30. GEO Saison porträtierte den ambitionierten Unternehmer jüngst in einer Reihe mit dem Titel “Wo die wilden Kerle keltern”.
Doch so wild ist er gar nicht. Einfühlsam konzentriert er sich auf seinen marktorientierten Wein, klare Linien im Label. Er verzichtet auf unnötigen Schnickschnack, beruflich wie privat.
Rennrad und Mountainbike stehen stets in seinem Büro hinterm Sackoständer. Wenn er mal einen Tag frei hat, radelt er bei Topform bis zum Gardasee durch die Weinberge seiner Kollegen…
Wein, der verkauft sich natürlich nicht nur gut im Laden sondern ist auch ein Imagefaktor für die autonome Region zwischen Alpen und Adria. Die besuchten Winzer und ihre Kollegen haben sich im Verband der Freien Weinbauern Südtirols zusammengeschlossen.
Das Geschäft
Die Vernetzung von Wein und Tourismus liegt nahe, dem Präsidenten gefällts: „Und das vom Eisacktal, über Bozen, das Überetsch und Meran hinauf bis in den Vinschgau“, so Graf Goëss-Enzenberg. Weingutsbesichtigung und Verkostung, fast ganzjährig sind sie bei den Weinbauern möglich.
Jeder dritte Weinbauer in Südtirol hat sein Portfolio erweitert, vom Buschenschank über Weinbars, Wohnen am Weinhof, Bed&Breakfast, Restaurants bis hin zu Weinhotels wie dem noblen, aber immer noch bodenständigen Stroblhof unter dem Management von Andreas Nicolussi-Leck. Vom Ab-Hof-Verkauf über Kulinarik bis Übernachtung bekommt der Gast hier das Rundum-Programm, wenn er will.
„Wir freie Weinbauern sehen uns als direkte Weinbotschafter Südtirols“, so Goëss-Enzenberg. Auch wenn sie nur rund 300 von insgesamt über 5.000 Hektar aller Weinflächen in Südtirol bewirtschaften – etwa fünf Prozent:
Den Weg der Traube vom Spross bis ins Glas verfolgen sie direkt mit. Und das bei 2.700.000 Flaschen pro Jahr, macht im Schnitt rund 30.000 pro Mitglied. Und die werden meist exportiert, vor allem ins nahe EU-Ausland aber auch in die ferne, weite Welt – in über vierzig Länder.
Diese Zahlen beeindrucken, ersetzen aber nicht den gemütlichen Nachmittag bei Pfeifers auf dem Pfannenstielhof auf der Terasse bei Südtiroler Speck und Käse – und zwei Flaschen Vernatsch.
Artikelbilder: © Jan Thomas Otte
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[tabs tab1=“Südtirol“ tab2=“Freie Weinbauern“ tab3=“Autorenbox“]
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[/two_fifth]Kulturell und sprachlich unterscheidet sich Südtirol vom Rest Italiens und hat hier eine Sonderrolle. Dies ist durch die jahrhundertelange Zugehörigkeit der Region zur Habsburgermonarchie bedingt. Heute ist Südtirol Teil der Europaregion Tirol–Südtirol–Trentino. Knapp siebzig Prozent der Bevölkerung Südtirols sind deutschsprachig, über ein Viertel hat Italienisch als Muttersprache, und zwischen vier und fünf Prozent der Landesbevölkerung, hauptsächlich im Dolomitengebiet, sprechen Ladinisch.
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[tab]Die Mitglieder der Vereinigung sind Familien-Weingüter und Eigenbau-Wein-Kellereien mit Erzeugerabfüllungen in Südtirol. Die freien Weinbauern sind keine Genossenschaft von Winzern (gemeinsame Weinvermarktung), sondern eine Vereinigung von selbstvermarktenden Winzern, d.h. der eigene Wein wird jeweils selbst verkauft. Das Ziel der Vereinigung ist es den traditionellen Weinbau und die Südtiroler Weinkultur zu fördern, sowie die selbstvermarktenden landwirtschaftlichen Weinbaubetriebe in Südtirol zu vertreten und unterstützen.[/tab]
[tab]Jan Thomas Otte hat Theologie studiert und weiss: Traube und Glaube hängen oft ganz nah beisammen. Und das im Wein die Wahrheit liegt, ist ein gängiges Wort. So hat er bei seiner Recherche in Südtirol fast die Zeit vergessen, die Uhr im Auto gelassen…
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